Karfreitag und Ostern fallen in diesem Jahr nicht aus – wir feiern nur anders. Der Gottesdienst ist das Vornehmste und Nobelste, das wir als Christen tun können – auch zu Hause.

Wenn Dein Kind Dich fragt

Was ist eigentlich Karfreitag?

Der Karfreitag ist der Tag, an dem die wir an das Leiden und Sterben Jesu am Kreuz erinnern. Obwohl Jesus unschuldig war, wurde er verurteilt zum Tod. Er überwindet das Böse durch seine Liebe. Dafür steht das Kreuz. Die Christen gedenken an diesem Tag ihrer Toten und glauben, dass sie auferstehen werden.

Hausandacht an Karfreitag
10. April um 14.45 Uhr

Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen.
Die Glocken läuten.
Es ist Karfreitag. Der dunkelste Tag des Jahres.
Der Tag, an dem Gott stirbt. Eine Kerze ist angezündet für Jesus.
Wir sind da – versammelt an unterschiedlichen Orten zur gleichen Zeit im Glauben, in Angst, in Hoffnung.

Lesung (Joh. 19, 16-30 Basisbibel):

Jesus wurde abgeführt. Er trug sein Kreuz selbst aus der Stadt hinaus zu dem sogenannten Schädelplatz, auf Hebräisch Golgata.

In der Stille schweigen mit denen, die sichtbar und unsichtbar bei dir (uns) sind.

Dort wurde Jesus gekreuzigt, mit ihm zwei andere, auf jeder Seite einer. Jesus in der Mitte. Pilatus ließ ein Schild am Kreuz anbringen. Darauf stand: „Jesus von Nazareth, der König der Juden.“ Viele lasen das Schild. Denn der Ort, wo Jesus gekreuzigt wurde, lag nahe bei der Stadt. Die Aufschrift war in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache abgefasst. Die führenden Priester des jüdischen Volkes beschwerten sich bei Pilatus: „Schreibe nicht: ‚Der König der Juden‘, sondern: ‚Dieser Mann hat behauptet: Ich bin der König der Juden.“ Pilatus erwiderte: „Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.“

In der Stille schweigen

Nachdem die Soldaten Jesus ans Kreuz genagelt hatten, teilten sie seine Kleider unter sich auf. Sie waren zu viert und jeder erhielt einen Teil. Dazu kam noch das Untergewand. Das war in einem Stück gewebt und hatte keine Naht. Die Soldaten sagten zueinander: „Das zerschneiden wir nicht! Wir lassen das Los entscheiden, wem es gehören soll.“ So ging in Erfüllung, was in der Heiligen Schrift steht: „Sie verteilen meine Kleider unter sich und werfen das Los über mein Gewand.“ Genau das taten die Soldaten.

In der Stille schweigen

Nahe bei dem Kreuz, an dem Jesus hing, standen seine Mutter und ihre Schwester. Außerdem waren Maria, die Frau von Klopas, und Maria aus Magdala dabei. Jesus sah seine Mutter dort stehen. Neben ihr stand der Jünger, den er besonders liebte. Da sagte Jesus zu seiner Mutter: „Frau, sieh doch! Er ist jetzt dein Sohn.“ Dann sagte er zu dem Jünger: „Sieh doch! Sie ist jetzt deine Mutter.“ Von dieser Stunde an nahm der Jünger sie bei sich auf.

In der Stille schweigen

Nachdem das geschehen war, wusste Jesus, dass jetzt alles vollendet war. Damit in Erfüllung ging, was in der Heiligen Schrift stand, sagte er: „Ich bin durstig!“ In der Nähe stand ein Gefäß voll Essig. Die Soldaten tauchten einen Schwamm hinein. Dann steckten sie ihn auf einen Ysop-Stecken und hielten ihn Jesus an den Mund. Nachdem Jesus etwas von dem Essig genommen hatte, sagte er: „Jetzt ist es vollbracht.“

In der Stille schweigen

Er ließ den Kopf sinken und starb.

Die Kerze ausblasen, in der Stille auf das Glockenläuten der Ottilienkirche um 14.55 Uhr warten und das Vaterunser sprechen, danach den

Segen: Es segne mich (uns) der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.


Predigt an Karfreitag, 10. April 2020, Pfaffenhofen

Liebe Gemeinde

Die Lektion der gegenwärtigen Krise hat der Philosoph Slavoj Žižek so beschrieben: Der Mensch ist viel weniger souverän, als er denkt. Die Corona-Epidemie stellt alles in Frage, was unser Leben bisher bestimmt hat: Die Kontrolle über unser Leben, das Machen, das Mehr haben wollen, das Konsumieren. All das steht in Frage. Nun sind wir gezwungen, allein zu Hause zu sein. Weniger machen, weniger wollen, weniger konsumieren. Wie gehen wir, die wir so gerne Herren der Lage sind, mit der Erfahrung der Ohnmacht um?

Der Philosoph Blaise Pascal hat einmal etwas über ‚Größe und Elend des Menschen‘ gesagt, und der erstaunlichste Satz kommt am Schluss des Zitats:

Wenn ich mich mitunter daran gemacht habe, die vielfältige Geschäftigkeit der Menschen zu betrachten, die Gefahren und Mühsale, denen sie sich aussetzen (…), woraus so viel Händel erwachsen, so viele Leidenschaften, so viel verwegene und oft schlimme Unternehmungen, habe ich entdeckt, dass alles Unglück der Menschen von einem Einzigen herkommen: Dass sie es nämlich nicht verstehen, in Ruhe in einem Zimmer zu bleiben.
(Blaise Pascal, Größe und Elend des Menschen. Aus den ‚Pensées‘ übersetzt von Wilhelm Weischedel 1979, Seite 13)

Die innere Unruhe vieler Menschen führt dazu, dass sie sich selbst nicht aushalten. Man muss sich ablenken und sucht darum das Außen. Dort, wo etwas los ist, wo sich andere Menschen befinden, wo man in Aktion treten kann. Heute kann man sich auch im kleinsten Kabuff online mit der ganzen Welt verbinden – ohne auch nur einen einzigen Schritt nach draußen, ins physische Außen, gehen zu müssen. Kein Wunder, dass auch die christlichen Kirchen sich in der Ohnmachtserfahrung der Corona-Krise aufs Internet stürzen – der Verfasser dieser Zeilen nicht ausgenommen.

Als ich über die vielen ausfallenden Gottesdienste an Karfreitag und Ostern nachgedacht habe, fiel mir auf, dass kein evangelischer Christ besser mit Predigten und Texten und Gebeten versorgt wurde als in diesem Corona-Jahr des Herrn 2020! Was soll man aus der Fülle aller Online-Angebote auswählen? Lieber den Bischof der EKD oder doch eher die eigene Pfarrerin? Lieber Fernsehen oder Radio? Oder eben doch Internet?

Warum fällt es uns Christen so schwer, die Stille auszuhalten? Warum sind wir so unfähig zu warten? Warum muss jedes spirituelle Bedürfnis jederzeit und sofort gestillt werden? Und überhaupt: Woher weiß ich als Pfarrer, was die Bedürfnisse der Menschen sind? Auf welche Fragen antworten meine Antworten?

Das Evangelium ist keine Ware. Auch ein gut gemeintes Angebot regelt nicht die Nachfrage, wenn es um die Regung des menschlichen Herzens geht. Die Not ist eine Not – und sollte auch als eine solche ausgehalten werden. Ich habe nichts gegen Live-Stream-Andachten auf Youtube, die sich auch auf der Homepage nachhören und sehen lassen. Das Problem ist nicht das Internet, ist auch nicht Youtube, sondern ein anderes. Pfiffige Computerexperten haben ihm einen Namen gegeben, es heißt: PEBKAC – das sind die Anfangsbuchstaben des englischen Satzes: Problem Exists Between Keyboard And Chair – also das Problem ‚existiert zwischen der Tastatur und dem Stuhl davor‘: Ich bin das Problem. Jeder ist das Problem, der auf dem Stuhl vor seiner Tastatur am Computer sitzt. Der es kaum aushält in Ruhe in seinem Zimmer zu bleiben. Einer von uns Pfaffenhöfenern, Christian Güttler, hat darüber schon vor drei Wochen das Gedicht ‚Die Wohnung‘ geschrieben, das Sie auch auf unserer Homepage unter der Rubrik ‚Mut Machen 23‘ finden können.

Ja, ich vermisse das Abendmahl sehr – nicht nur heute an Karfreitag. Ich vermisse die Lieder, das gehörte und gesprochene Wort Gottes. Ich bin traurig, dass eine der schönsten Errungenschaften der Reformation im Moment nicht sichtbar wird, dass nämlich Gemeindeglieder – und eben nicht Pfarrer – im Gottesdienst das Wort Gottes für die Feiertage und Sonntage lesen. Das Nobelste und Edelste des christlichen Gottesdienstes, wenn Gott zu Wort kommt und wir alle aufmerksam in der Stille zuhören – es findet nicht statt! Zumindest nicht in der realen, körperlich zugewandten Erfahrung des Gottesdienstes in der Kirche. Es fehlt. Ich kann mir eine solche Gemeinschaft denken. Ich kann sie mir wünschen. ‚Haben‘ habe ich sie damit noch nicht.

Ich erkenne sie aber in den Menschen, die plötzlich ihre Nachbarn fragen, ob sie ihnen etwas vom Einkauf mitbringen sollen. Die Solidarität, das aufeinander Aufmerksam-werden, das gegenseitige Helfen – Zeichen der Nähe trotz Abstands. Ich spüre es an der Reaktion der Menschen, wenn ich anrufe. Zeichen der Verbundenheit, wenn Konfis Grüße an Senioren im Heim schreiben – ganz altertümlich per Brief. Der Mangel und die Not machen erfinderisch – Gott sei Dank. Und der Menschen sei Dank.

Als Jesus an Karfreitag starb, sind alle Jünger auseinandergelaufen oder zogen sich zurück, so steht es in den Evangelien. Sie saßen in ihren Häusern und Wohnungen und wussten nicht mehr weiter. Dieses Gefühl ist auch uns nicht fremd. Drei Jahre hatten die Jüngerinnen und Jünger mit Jesus verbracht, hatten versucht, sich alles zu merken, was er ihnen und anderen gesagt hatte, hatten Unglaubliches mit ihm erlebt, ihre ganze Welt war anders geworden – und von einem Tag auf den anderen galt nichts mehr von dem, was sie erlebt und geglaubt hatten. Ich sehe sie vor mir, wie sie sich in Jerusalem verstecken und in ihren Wohnungen herumtigern. Ihnen und uns gilt das Predigtwort für den heutigen Karfreitag. Der Apostel Paulus schreibt im 2. Brief an die Korinther im 5. Kapitel:

Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

Drei Gedanken will ich hervorheben: 1. Gott war in Christus. Also ist Gott nicht der Strippenzieher im Hintergrund des Lebens. Auch nicht im Leben Jesu. Denn: Gott selber stirbt, er ist Jesus Christus. Gott ist nicht der Regisseur und auch nicht der Kameramann, der alles nur beobachtet. Gott ist mittendrin und stirbt. Für mich, für uns. Das fasse, wer fassen kann. Der Vater Jesu Christi zieht nicht irgendwie hinter den Kulissen des Lebens an irgendwelchen Schnüren, sondern er hat sich selber in seinem Sohn binden lassen ans Kreuz. Die Bibel sagt es viel nachdrücklicher: Er hat sich darauf festnageln lassen.

2. Gott hat unter uns aufgerichtet das Wort der Versöhnung. Mag sein, dass wir zurzeit nicht gemeinsam singen können, aber dennoch darf das Wort der Versöhnung auch im Lied, in Sprache klingen, wie wir es auch zustande bringen. Wir sind nicht stumm gemacht worden, sondern wir sollen nur ganz vorsichtig in der Wohnung sitzen und jedes Wort, mit dem wir einander erreichen, verbindet uns, vergrößert die Chance, das Wort der Versöhnung zu hören und weiterzugeben. Wir können in der täglichen und nächtlichen Einsamkeit zu Gott beten, können die Gebete des Gesangbuchs, der Bibel sprechen, aneinander denken, füreinander beten und für uns selbst: ‚Herr, auf dich vertraue ich, in deine Hände lege ich mein Leben.

Jetzt – in der Corona-Zeit – ist die Zeit, die so nie wiederkommt. Was tue ich in diesen Tagen? Manches, worüber ich jetzt nachdenke, was mich bewegt, ist es wert, dass ich es festhalte in Worten, die ich in ein kleines Tagesjournal-Heft eintragen und aufbewahren könnte. Worte, die mir etwas bedeuten, die jemand zu mir gesagt hat, die ich gelesen habe. Was ich anderen sagen möchte, mich bisher nicht getraut habe, auszusprechen; sie erst einmal dort hineinschreiben, vielleicht fällt es mir dann später leichter, sie auszusprechen.

3. Er rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu! Das ist die Botschaft, die wir weitergeben sollen und die wir uns selbst gesagt sein lassen sollen. So verstehe ich die Botschaft Gottes: Er hat sich bereits mit der ganzen Welt versöhnt. Doch es kommt darauf an, dass ich das glaube, was „für eine große Sache es ist, wenn Gott kommt und Gericht hält und das Ende und das Ergebnis darin besteht, dass es heißt: Er rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu! Wenn wir einen Blick darauf werfen, wie genau unter den Menschen selbst gerechnet wird, wie dort jeder vom anderen die Schuld eintreibt, die Einzelnen, die Völker (…) dann erst, wenn man dieses grausame Spiel begriffen und den Menschen einmal gesehen hat, wie er über seinesgleichen zu Gericht sitzt und alles anrechnet, was nur anzurechnen ist, dann kann man ermessen, dass wir hier in eine andere Welt treten, eine Welt, über deren Portal eingemeißelt ist: Im Angesicht des Gekreuzigten Gott rechnet ihnen ihre Sünde nicht zu. Das ist es, was wir nicht fassen können. Darum erdichten wir uns immer wieder ein Dahinter, einen nach Menschenart rechnenden, verklagenden, die Schuld eintreibenden Gott. Dieser Wahn müsste heute endgültig fallen, wenn es auch für uns Karfreitag werden soll. Heute müssten wir begreifen, dass Gott uns in Jesus nahe ist und dass es kein Dahinter gibt (…) und uns nichts davon scheiden kann, und wir nichts anderes sehen und nicht anderes hören als dieses Wort Gottes: Er rechnet ihnen ihre Sünden nicht zu.“ (H.J. Iwand NW 3, München 1983, S. 282)

Das Wort der Versöhnung ist aufgerichtet, sagt der Apostel Paulus. So wie Gott, unser aller Richter, auch mein Leben ausrichtet auf ihn hin. Wo immer es hingeht – Adieu, zu Gott hin. Das richtet mich auf. Diese Zuversicht wünsche ich auch denen, die jemand loslassen müssen in diesen Tagen. Gott ist der Herr über Lebende und Tote, ihm allein gehören wir – und darum: Adieu, zu Gott hin.

Und auch Ihnen und Euch Leserinnen und Lesern dieser Predigt gilt dieser Gruß an Karfreitag für die kommende Zeit: Adieu – zu Gott hin, was auch kommen mag!

Ihr/Euer Pfarrer Eberhard Hadem

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.