Predigt am Kirchweih-Sonntag
21. Juni 2020 Pfaffenhofen 10 Uhr (2. So. n. Trinitatis)


Dansje in de kerk / Dancing in the church
Von Marius van Dokkum
Holland 2005 Öl auf Holz 65 x 45 cm

Predigtwort: Matthäus 11, 25-30 (II)
Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart. Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen. Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.

Soso, liebe Gemeinde, unmündige Kinder verstehen also – Erwachsene nicht. Sagt Jesus. Na ja… Wer’s glaubt, wird selig. – So ist es, würde Jesus darauf antworten: Wer das glauben kann, wird selig werden. Das ist nicht ganz so einfach hinzunehmen, diese Zurücksetzung von Klugheit und Weisheit.

Wenn ich mit Menschen im Gespräch über den Glauben bin, bedauern manche, dass sie ihren Kinderglauben verloren haben. Was ist Kinderglaube? Wenn ich nachfrage, dann kommen Erinnerungen: Großes Vertrauen, selbstverständliche ‚Wahrheiten’, schöne biblische Geschichten. Aber auch Traurigkeit, das die Erfahrungen des Lebens das alles kaputt gemacht haben. Man hört eine Sehnsucht, noch einmal so vertrauen, so glauben zu können.

Andere erzählen, dass sie alles geglaubt haben, was von den Erwachsenen als wahr behauptet wurde. Diese Gesprächspartner sind froh, dass das naive Kinderdenken hinter ihnen liegt. Sie verbinden Zwänge und Ängste damit. ‚Kleingehalten wurden wir’, sagte einer zu mir, ‚Das habe ich hinter mir’.

Wie immer, wenn es um Kindheit geht, die eigene besonders, ist es nicht einfach bei sich selbst zu unterscheiden, was ich als gut oder als schlecht für mich empfinde. Auf der einen Seite bin ich vielleicht froh, dass ich sie hinter mir gelassen habe.

Auf der anderen Seite erscheint es mir wie die Vertreibung aus einem Paradies, als ein großer Verlust: Wenn ich mit dem Erwachsenwerden auch eine große Macht und Stärke verloren habe, die ich heute manchmal gut brauchen könnte: Aufstehen, wenn ich hingefallen bin. Dinge anpacken. Sich nicht entmutigen zu lassen. Etwas zu wagen, ohne vorher alle Risiken bedacht zu haben. Einfach mal losgehen und schauen, wohin mich das bringt.

Kirchweih ist heute – zumindest im Gedenken im Gottesdienst, leider nicht als großes Fest. Das ist sehr schade. Wir sind unsicher, ob wir nach wie vor darauf warten sollen, dass alles wird wie immer. Oder ob wir anfangen wollen, ‚mit Corona‘ zu leben, weil es kein ‚nach Corona‘ geben wird, zumindest nicht so, wie es früher einmal war. Wie wollen wir in unserer Gemeinde weitergehen? Klar, wir können uns innerlich ‚ausklinken‘, in die innere Emigration gehen und so tun, als würde es zu 80 oder 90% so weitergehen wie bisher. Auch in unserer Kirchengemeinde werden wir uns neu orientieren müssen, in den Chorproben, den Gruppen im Gemeindehaus. Jede und jeder muss Rücksicht nehmen. Das verändert auch die Arbeit selbst. Wie stellen wir uns vor, mit 30 Senioren auf engstem Raum im kleinen Gemeindesaal 2,5 Stunden zusammenzusitzen? Da braucht es noch etwas Hirnschmalz und guten Willen, etwas zu finden, das nicht alle Wünsche berücksichtigen kann, aber dennoch ein Erleben von Gemeinschaft möglich macht.

So unwiderruflich, wie die meisten von uns ihre Kindheit hinter sich gelassen haben, haben wir alle die Zeit ‚vor Corona‘ hinter uns gelassen, müssen uns neu orientieren, wie unsere Konfis, die alten ebenso wie die neuen.

Vor einiger Zeit, auf dem Weg durch eine enge Gasse, kommen Kinder die Gasse herunter, laut lachend und hin und her springend. Vor mir geht ein älterer Mann, ich drei Schritte hinter ihm. Ein Kind war so mit Erzählen beschäftigt, dass es den Mann beinahe übersehen hätte und erst im letzten Moment ausweichen konnte. Und er schnauzt den Kindern hinterher: „Blöde Blagen, passt doch auf.“ Und ich sage, als er mich anschaut: „Na ja, ist doch nichts passiert.“ Darauf er: „Hätte aber passieren können.“ Sage ich: „Stimmt.“ Darauf er knurrend: „Sie haben ja keine Ahnung, wie es ist als alter Mensch, wenn die Beine wacklig sind.“ Sage ich: „Stimmt, das weiß ich nicht.“ Dann weiß er nichts mehr zu sagen und ich auch nicht. Langsam gehen wir weiter die Gasse vor. Ohne viel nachzudenken, frage ich, was mir einfällt: „Wie waren denn Sie als Junge früher?“ Er bleibt stehen, schaut mich an – und grinst nach einer Weile und sagt: „Sie haben recht, ich war ein Lausbub.“ Und er erzählt und erzählt, und es dauert eine Weile, bis wir uns verabschieden.

Es gibt so Sätze der Erfahrung, die machen uns das Leben schwer: „Hätte aber passieren können.“ „So was brauche ich gar nicht erst anzufangen, das klappt nie.“ Solche Sätze kennen wir, nicht wahr? Das Schlimme ist, sie treffen ja sogar manchmal zu. Es tritt ein, was wir am Schlimmsten erwarten.

Aber diese Gedanken entwickeln eine eigene Dynamik: Ich denke nicht nur so, wenn etwas Schlimmes passiert ist, sondern ich beginne, es schon morgens beim Aufstehen zu denken. Und abends wenn ich ins Bette gehe, gehe ich innerlich durch den Tag und denke: ‚Siehste, wie immer’. Und wundere mich, dass ich schlecht schlafe. Solche Gedanken können einen niederdrücken.

Um das Bild vom Joch aus unserem Predigtwort heute Morgen aufzugreifen: Ein hölzernes Joch wurde einem Ochsen auf die Schultern gelegt, damit es ihm leichter fällt, einen schweren Karren hinter sich herzuziehen. Es ist viel schwerer, ohne ein Joch schwere Sachen zu ziehen.

Stellt euch aber nun einen Ochsen vor, der das hölzerne Joch auf seinen starken Ochsenschultern nicht nur den ganzen Tag bei der Arbeit, sondern auch abends und nachts in seinem Stall trägt und der Bauer es ihm niemals herunternimmt, obwohl die schwere Arbeit auf dem Feld längst getan ist. Falls Ochsen denken können, würde er irgendwann von sich selbst denken: ‚Du blöder Ochse’. Er würde sich daran gewöhnen, an das Joch – und daran, sich für blöd zu halten und er würde auch so weiterleben, mit seinem übermäßigen Joch.

Der Vergleich mag vielleicht etwas hinken, liebe Gemeinde, aber genau so wie der Ochse können Menschen leben. Die Erwartung weiterer schlechter Erfahrungen ist wie ein übermäßiges Joch, das manche Menschen niemals ablegen. Jede neue Bestätigung ihrer Erfahrung macht ihr Joch noch schwerer. „Hätte aber passieren können“, sagen sie. Oder: „Das klappt nie“. Dieser ‚Klugheit und Weisheit‘ des Erwachsenenlebens bleibt deshalb verborgen, was Kindern offenbart ist: Es gibt ein leichtes Joch, das sanft ist, wo die Last tatsächlich leichter wird, wenn man Jesu Joch trägt, und nicht das eigene.

Und was sagt Jesus denen, die unter ihrem eigenen übermäßigen Joch leiden? Wer in ständiger Angst lebt, die Gebote zu übertreten, sieht irgendwann nur noch kleine und große Verbrecher um sich herum. Man hält sich für moralisch besser als andere. Oder man verzweifelt, weil der Glaube nicht perfekt gelingt. Jesus sieht, dass diese beiden Menschentypen ein schweres, übermäßiges Joch tragen. Und diesen beiden sagt Jesus: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.

Ohne das sanfte Joch Jesu würden wir nur das eigene übermäßige Joch tragen. Deshalb bin ich dankbar, dass ich mich an Jesus und sein Wort erinnern kann.

Was aber ist so leicht an Jesu sanftem Joch? Das will ich am Schluss am Beispiel der Musik und des Singens sagen. Wenn Sie kleine Kinder singen hören, dann tun sie es mit Inbrunst und Hingabe und nicht immer klingt das wunderschön, aber Eltern und vor allem Großeltern würden eine Oper verschmähen um ihren Enkelkinder zuzuhören, wenn sie etwas vortragen. Für sie ist es Engelsgesang, klingt es auch noch so falsch.

Ob wir das eines Tages wieder so unbeschwert erleben werden, dass wir den eigenen Körper spüren, wie er mitschwingt und mitsingt und mitvibriert und man ganz und gar Singekraft ist und man selbstvergessen im Klang ausruht, wie ein Kind, wenn es selbstvergessen singt – das ist noch offen. Im Moment klingt Corona immer mit und vermiest einem die Lust.

Umso wichtiger ist es, dass wir als Gemeinschaft das Vermissen aushalten – eben gemeinsam aushalten! Zwischen der Zerstörung der ersten Ottilienkirche im 30-jährigen Krieg und dem Wiederaufbau im Jahr 1735 liegen viele, viele Jahre des Vermissens, in dem sich unsere Vorfahren üben mussten. An ihrem Vorbild können wir lernen.

Vielleicht sind wir alle gerade mehr der Wald, der nur noch das Echo der Musik zurückwirft, nur halb verständlich, eher schwach im Ausdruck und Erleben. Ganz anders als die Sängerinnen und Sänger, die ‚früher‘ begeistert in den Wald hineingerufen haben. Da könnten wir jetzt die Köpfe hängen lassen; wir sind aber nicht verpflichtet dazu. Also lasst uns – solange es nötig ist – Echo sein! Lasst uns gemeinsam vermissen, was uns fehlt, in der guten Hoffnung, dass es uns eines Tages wieder gelingen wird, die Sängerinnen und Sänger zu werden, die den Wald zum Echo herausfordern.

So könnte ein sanftes Joch heute bei uns aussehen… Das wäre – auch mit Corona – heute schon ein durch und durch erwachsen gewordener Kinderglaube voller Gottesliebe und Lebenslust, auch wenn wir so manches vermissen. Das wünsche ich Euch und mir, nicht nur heute am Sonntag. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Eberhard Hadem
20.6.2020