Hausandacht am 2. Sonntag nach Epiphanias,
Pfaffenhofen 17. Januar 2021, 9:30 Uhr

Wenn Dein Kind Dich fragt

Was ist eigentlich Epiphanias?

Epiphanie heißt auf Deutsch: ‚Erscheinung‘. Öffentlich tritt Jesus auf als Sohn Gottes. Gott macht seine Liebe sichtbar in ihm. Jesus sehen, heißt, Gott erkennen.

Die Hausandacht beginnt mit dem Glockenläuten um 9:30 Uhr, es folgen Begrüßung, Gebet und Lesung. Die Fürbitte geht über ins Vaterunser mit dem Geläut der Vaterunser-Glocke. Nach dem Segen läuten noch einmal die Glocken.

Begrüßung

Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Wir kommen zu dir, Gott, aus aller Unruhe, mit so vielen Gedanken, die wir uns machen über das Leben und unsere Welt. Wir kommen zu dir mit unseren Sorgen und Ängsten, mit Sehnsucht und Hoffnung. Wir legen ab, was uns Unruhe macht und auf uns lastet.

Gebet

Gott, ich bin hier (wir sind hier). Und Du bist hier. Ich bete (wir beten) zu Dir im Glauben: Ich bin (Wir sind) verbunden mit Dir. Mit anderen, die zu Dir beten. Genau jetzt. Es ist Sonntag! Wir sind verbunden, auch wenn es niemand sieht. Wir sind verbunden, ganz gleich, was geschieht. Du bist hier bei mir (uns) – das genügt. Amen.

Psalm 105, 1-8

Dankt dem Herrn und ruft seinen Namen an. Verkündigt sein Tun unter den Völkern!

Singt ihm, spielt ihm, redet von all seinen Wundern! Rühmt euch seines heiligen Namens.

Das Herz derer, die den Herrn suchen, freue sich! Fragt nach dem Herrn und seiner Macht, sucht sein Antlitz allezeit!

Gedenkt seiner Wunder, die er getan hat, seiner Zeichen und der Urteile seines Mundes,

ihr Nachkommen Abrahams, seines Dieners, ihr Söhne Jakobs, seines Erwählten!

Der Herr ist unser Gott, über die ganze Erde hin gilt sein Urteil.

Ewig gedenkt er seines Bundes, auf tausend Generationen des Wortes, das er geboten hat.

(Nach Martin Luther und Martin Buber)

Fürbitte

Gott, Du Herz aller Dinge, wir danken Dir für Deine Liebe und Deine Freundlichkeit. Wir danken dir für Jesus, deinen Sohn, der geboren wurde, starb und auferstand und den Tod besiegt hat.

Du Geheimnis der Welt, Du Betreiber von allem, was lebendig ist, wir danken Dir, dass du uns durch die kommenden Monate des Jahres trägst, auch 2021 ein Jahr aus Deiner Hand. Stärke uns mit der Kraft Deines Geistes, wenn unser Glaube klein ist und von Zweifeln geplagt. Sei bei den Kranken und Einsamen in unserer Gemeinde. Wir beten für sie um dein Licht, dass Dein Glanz auch ihnen erscheint und sie hell macht. Du hast Licht in unsere Finsternis gerufen: Entzünde es neu in unseren Herzen und in den Dunkelheiten dieser Welt.

Gott, Du Herkunft und Heimat von uns allen, Dein Sohn ist erschienen mitten in dieser Zeit, mitten unter uns. Dafür danken wir dir und bitten dich: Erhalte uns in dem Vertrauen, dass du uns ansiehst. In der Stille nennen wir dir die Namen von Menschen, an die wir besonders denken:

⟩Stille⟨

Wir beten mit deinen Worten:

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Gott sendet mich (uns)

Jesus gibt mir (uns) den Heiligen Geist. Ich atme ein. Ich atme aus. (Wir atmen ein. Wir atmen aus) – ohne Angst. Ich bin (wir sind) umgeben von Gottes Kraft, die alles schafft. Ich verbinde mich (wir verbinden uns) mit dir, Gott, und mit allen, die dich lieben, hier wo ich wohne (wo wir wohnen).

Segen

Halte deine (Haltet eure) Hände offen nach oben und sprich (sprecht):
Gott segne uns und behüte uns. Gott lasse sein Angesicht leuchten über uns und sei uns gnädig. Gott erhebe sein Angesicht auf uns und gebe uns Frieden. Amen.

Dann öffne das Fenster – atme ein, atme aus. Lass deine Kerze noch ein wenig brennen. Oder mach einen Sonntagsspaziergang. Oder stell Dir vor: Der nächste Kaffee, den Du trinkst, wäre ein Kaffee mit Gott. Was würdest du heute mit Gott besprechen wollen, bei einer Tasse Kaffee (oder Tee)?


Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias,
Pfaffenhofen 17. Januar 2021

Predigtwort: Jeremia 14, 1-9
(Lesung aus dem Alten Testament)

Dies ist das Wort, das der Herr zu Jeremia sagte über die große Dürre: Juda liegt jämmerlich da, seine Städte verschmachten. Sie sinken trauernd zu Boden, und Jerusalems Wehklage steigt empor. Die Großen schicken ihre Diener nach Wasser; aber wenn sie zum Brunnen kommen, finden sie kein Wasser und bringen ihre Gefäße leer zurück. Sie sind traurig und betrübt und verhüllen ihre Häupter. Die Erde ist rissig, weil es nicht regnet auf das Land. Darum sind die Ackerleute traurig und verhüllen ihre Häupter. Selbst die Hirschkühe, die auf dem Felde werfen, verlassen die Jungen, weil kein Gras wächst. Die Wildesel stehen auf den kahlen Höhen und schnappen nach Luft wie die Schakale; ihre Augen erlöschen, weil nichts Grünes wächst. Ach, Herr, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! Denn unser Ungehorsam ist groß, womit wir gegen dich gesündigt haben. Du bist der Trost Israels und sein Nothelfer. Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? Warum bist du wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann? Du bist ja doch unter uns, Herr, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht!

Liebe Gemeinde

Dieses Bibelwort für den 2. Sonntag nach Epiphanias ist neu in den gottesdienstlichen Lesungen. Vor genau einem Jahr habe ich zum allerersten Mal darüber gepredigt. Corona war da noch ein Wort für eine Biersorte. Wenige Wochen später war der erste harte Lockdown da. Was seitdem geschehen ist, fordert mich heraus, Jeremias Worte erneut zu bedenken.

Hören wir hinein in seine Klage mit einer depressiven Grundstimmung, die sogar die Natur erfasst: Wildesel schnappen auf kahl gewordenen Bergen nach Luft wie Schakale in der ausgebrannten Wüste. Hirschkühe verlassen ihre gerade geborenen Jungen, weil nichts Grünes mehr wächst. Die Diener der Großen werden beauftragt, Wasser zu suchen, aber sie finden keins und kommen mit leeren Händen zurück. Deshalb verhüllen alle ihre Häupter, sind traurig und betrübt. Städte verschmachten und ländliche Gegenden liegen jämmerlich da.

Unversehens halte ich die Luft an und frage mich: Ist das eine Vision des Grauens aus den ausgedörrten Ländern des heutigen Afrikas, deren Bewohner kein Wasser mehr finden, weil die Sonne ihr Land ausbrennt? Wo große Konzerne dem Boden das Grundwasser entziehen und aus ökonomischen Gründen perverse Wasserpatente schützen lassen, während direkt daneben Menschen sterben? Was schon jetzt geschieht und welcher Klimazukunft wir entgegengehen könnten? Wo die Erde nicht mehr trägt, nichts mehr davon hergibt, von dem man leben könnte, sondern – wie Jeremia es sagt – rissig ist, weil es nicht regnet auf das Land.

Das Verrückte an der Vision des Jeremia ist doch: Auf der Nordhalbkugel der Erde geschieht gerade das genaue Gegenteil. Die Natur, die Schöpfung, Pflanzen und Tiere bekommen buchstäblich wieder etwas mehr Luft. Die Erde erholt sich. Wohl gemerkt: Der Lockdown hat nicht die Ausbeutung einschränkt, sondern ‚nur‘ die Art, wie wir da sind, wie wir normal leben – und schon dadurch erholt sich die Natur. Ja, es ist richtig: Unser ganz normales Leben und ein Stück Freiheit wurde eingeschränkt – aber die Freiheit der anderen Geschöpfe hat plötzlich wieder Raum!

Was bedeutet das für uns? Nehmen wir einmal an, Jeremia würde heute unter uns leben: Wie würden wir ihn sehen? Als einen Öko-Mahner auf Erden, der sagt: ‚Seht ihr denn nicht, dass wir es sind, die das Verschmachten der Erde hervorbringen? Muss erst das normale Leben zurückgefahren sein, dass ihr erkennt, was ihr Erde und Himmel antut?‘ Ist Jeremia auch nur ein Unheilsprophet, der von einer unmenschlichen Zukunft erzählt? Es ist richtig, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem, wie wir leben und wie die Natur darauf reagiert. Wir sehen den Zusammenhang dann, wenn wir die Erde als Ganzes anschauen. Dann erschrecken wir und erkennen, dass die Natur weiterhin auf der Südhalbkugel verdorrt und zur gleichen Zeit die Natur auf der Nordhalbkugel sich erholt. Wären also moralische Mahnungen doch die richtige prophetische Botschaft der Christen heute? So wie es leider Christen gibt, die das Corona-Virus als Strafe Gottes sehen – schrecklich, solche widerlichen Moralbotschaften, eine Gotteslästerung ersten Ranges! Menschenlästerlich zugleich!

Liebe Gemeinde, auch davor bewahrt uns Jeremia: Vor falschem Moralismus. Denn er gehört nicht zu denen, die vom Unglück immer schlechterer Zukunft sprechen. Er spricht von der Hilfe eines Gottes – der nicht da ist! Herr, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! […] Du bist der Trost Israels und sein Nothelfer. Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? Warum bist du wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann?

Ein Gott, der nicht da ist, wenn man ihn braucht – auch das ist ein Schrecken, der ans Eingemachte geht, der einen bis ins Innerste erschüttern kann. Aber ein Schrecken, von dem Jeremia sagt, dass wir ihn aushalten sollen – und können.

Manchmal findet man Menschen, die sich der Leere, dem Schweigen stellen, in der spürbar wird, wie sehr Gott fehlt, wie abwesend er ist. Jeremia gehört dazu. Das ist seine Klage, dass Gott sein Volk verlassen hat. Und er spürt diese Gottverlassenheit geradezu körperlich; sie geht durch ihn hindurch, sie schüttelt ihn, packt ihn, wirft ihn zu Boden. Lest es selbst einmal nach, auch in seinen fünf Klageliedern. Kein anderer Prophet hat so von der Abwesenheit Gottes geredet wie Jeremia. Die Gier, das Begehren – ja, die sind weiterhin anwesend. Gott dagegen – ist nicht da. Einige beklagen es. Ist das eine Diagnose des 7. Jahrhunderts vor Christus zur Zeit des Jeremia? Oder eine Diagnose für heute?

Auf der Suche nach einer Idee, die auch unsere Lage gut beschreiben könnte, fand ich zunächst das Wort von der ‚Abwesenheit‘. Jeremia ist der Prophet der Abwesenheit Gottes. Und es gibt Menschen, die sagen, dass das gut so ist, weil es zeigt, wie hilflos Gott sei, dass er nicht helfen könne, weil – er eben gar nicht da sei. Sie sagen: Religion sei im besten Sinne so etwas wie eine Selbstheilungskraft, erfunden von religiösen Führern, die Texte und Impulse und Gedanken schenken, damit der Mensch, der es braucht und nicht aushält, dass Gott abwesend ist, etwas in den Händen hat, an das er sich halten kann. Aber eigentlich braucht es keinen Gott, so wie es auch keine Heilige Schrift und keinen Gottesglauben braucht, weil es der Welt besser gehen würde, wenn es keine Religionen mit dem Potential zur Gewalt gäbe. Der Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk hat darüber ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Den Himmel zum Sprechen bringen“, über das aktuell viele reden, mit dem er sich zum Wortführer derer macht, die als aufgeklärte Menschen Religion für überflüssig halten.

Ich würde Herrn Sloterdijk gerne in einem Gespräch mit dem Propheten Jeremia erleben, das fände ich spannend. Herr Sloterdijk meint: Für die Selbstheilungskräfte der Religion mit ihren schönen Texten hat er sogar noch ein wenig Sympathie. Aber die Abwesenheit Gottes ist für ihn der Beweis, dass wir eben allein sind im Menschenpark und schauen müssen, wie wir selber zurechtkommen, welche Regeln gelten sollen und welche nicht.

Für Jeremia ist Gottes Abwesenheit aber etwas anderes. Jeremia wird nicht Atheist und er sieht auch die Menschen nicht als Staubkörner allein im Weltall. Was für Herrn Sloterdijk noch Sinn macht, nämlich die Selbstheilungskräfte von religiösen Ritualen und schönen poetischen Texten – das lehnt Jeremia als Irrglaube ab. Das – so würde er sagen – geschieht zwar tatsächlich und macht es für manche Menschen eine Weile erträglich, hilft aber nicht. Die Hilfe ist woanders. Trost ist keine Vertröstung. Gottes Abwesenheit führt Jeremia – so unglaublich das klingt – zum Glauben. Sein Glaube besteht darin, Gott zu vermissen. Und das ist das Wort, das ich gesucht habe: ‚Gott vermissen‘.

Jeremia ist der Prophet, der Gott vermisst. Gottes Abwesenheit nimmt er nicht philosophisch zynisch hin, sondern er ruft seinem Gott zu, den er als fern erlebt: ‚Dich, Gott, vermissen wir!‘ Wer Gott von Herzen vermisst, findet heraus, wie er die Gottverlassenheit auf Erden in Treue aushalten kann. Das ist ja der Glaube Jeremias: Gott ist gerade dann am nächsten, wenn er vermisst wird. Auch Jeremia findet genügend Gründe und Gelegenheiten, wo Gott fehlt. Doch er beklagt Gottes Abwesenheit im Tonfall des Vermissens. So wie Jesus in der Bergpredigt sagt: Selig sind, die hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, die Leid tragen, die Frieden stiften, die den sanftmütigen Weg gehen – das ist genau dieser Tonfall: ‚Dich, Gott, vermissen wir.‘ Das ist kein Trick, mit dem Christen am Schluss sagen: ‚Wussten wir es doch, Gott, dass du nur verborgen da bist!‘ Nein, weder die Bibel noch der Glaube bewahren uns vor der Angst dieser Verzweiflung, dass Gott tatsächlich nicht sein könnte.

So gibt es auch keine religiöse Erklärung, warum es das Corona-Virus gibt. Ob Gott es zugelassen oder gar nichts damit zu tun habe, das sei allein Sache der Menschen, wie manche sagen um sich nicht mehr dafür rechtfertigen zu müssen, was ‚der liebe‘ Gott damit zu tun hat. In eine andere Verzweiflung gerät man, wenn man sagt: Wenn Gott der Schöpfer von allem sei, dann müsste doch auch das Virus so etwas Ähnliches wie ein Geschöpf sein, das zwar keinen intelligenten Willen zur Vernichtung der Menschheit habe, aber dennoch existiere und sein genetisches Programm ablaufen lässt, dummerweise zum Nachteil der Menschen, die irgendwie versuchen, doch als Tüchtigste der Natur zu überleben. Auch das eine zynische Verzweiflung, die auf eine Zeit nach Corona hofft.

Vielleicht wird jetzt auch die bittere Verzweiflung verständlicher, mit der Jeremia Gott fragt: Warum stellst du dich, [Herr], als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? Warum bist du wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann? Was ist ein Held, wenn er nicht helfen kann? Gott, hörst du nicht das Lachen derer, die sagen, dass es egal ist, ob es dich gibt oder nicht? Selbst wenn es dich gäbe, bist du ja offensichtlich machtlos. Was für eine Art hilfloser ‚Held‘ bist du, Gott? Als würdest du dich bei uns umschauen wie ein Fremdling im Lande, wie ein Tourist, dem wir aber letztlich gleichgültig sind. Wie ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt, was interessieren den schon unsere Nöte?

Jeremia erzählt von der Abwesenheit Gottes so, dass wir hören, wie sehr er Gott vermisst. Es scheint so, als müsse er Gott daran erinnern, wer er – Gott – eigentlich sei. Doch indem er das tut, geht ihm dabei selber etwas auf: Hoffnung Israels – das ist dein Name, Gott – sei unser Retter in der Zeit der Not – das ist dein Name. Du bist ja doch unter uns, Herr, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht! Ich verstehe Jeremia so: ‚Dich, Gott, vermissen wir – doch in dem Namen, den wir anrufen, bist du da. Unter uns. In denen, die dich vermissen.‘ Liebe Gemeinde, wer kann so glauben? Nicht viele Menschen, aber Jeremia gehört dazu. Die so glauben, hinterlassen einen tiefen Eindruck in unseren Herzen. Ich erzähle am Schluss von einer Frau, auch eine Prophetin der Abwesenheit Gottes.

Vor fast genau 101 Jahren, am 22. Januar 1920, wird in Südtirol, im italienischen Trient, Silvia Lubich geboren. Ihr Vater ist ein überzeugter Sozialist, ihre Mutter eine überzeugte katholische Christin. Die junge Silvia erlebt die Gewalt der Mussolini-Zeit, des ‚Duce‘, des faschistischen Führers in Italien, und findet ihren eigenen Weg. Sie gründet einen Laienorden, die ‚Fokolare‘, als die Stadt Trient 1944 schrecklich bombardiert wird. Statt aus der Stadt wegzugehen, entscheidet sie sich mit ihren Gefährtinnen, in der Stadt zu bleiben für die, die nicht vor der Not und der Gewalt weglaufen können. Sie stellen sich genau dort dazu und hinein, wo Gott abwesend ist, wo die Menschen sich verlassen fühlen.

So entsteht der erste Brennpunkt um einen Herd, italienisch fuoco, den Ort, der Wärme und Geborgenheit in Essen und Trinken und Mitleiden schenkt, also an der Stelle, wo Menschen sich von Gott und anderen verlassen fühlen. Aus diesen Anfängen des fuoco, des brennenden Herdes, entsteht die Bewegung der ‚Fokolare‘. Überzeugt davon, dass jeder Mensch berufen ist, die Liebe und die Einheit aller Menschen zu verwirklichen, verbinden und vernetzen sich seit damals ihre Mitglieder über die ganze Welt. Sie schenken und suchen Gastfreundschaft.

Silvia Lubich hat damals einen neuen Namen angenommen und sich ‚Chiara‘ genannt, das ist die italienische Form von Klara und bedeutet: ‚Die Strahlende, die Helle‘. Sie war fest davon überzeugt, dass das treue Aushalten von Gottes Abwesenheit sogar Gläubige und Atheisten verbinden kann, denn sie nähern sich der Abwesenheit Gottes nur von entgegengesetzten Seiten. Peter Sloterdijk und Jeremia stehen für mich für diese beiden Seiten. Chiara Lubich hatte keine Berührungsängste, weil sie an die Einheit der Menschen glaubte, gerade dort, wo Gott so schmerzlich vermisst wird.

Das ist meine Predigtbotschaft heute Morgen: Ich vermisse, wie wir verbunden sind als Schwestern und Brüder, alle, die in Pfaffenhofen und Pruppach zur Gemeinde gehören. Nicht nur die, die heute Morgen in die Ottilienkirche gekommen wären, sondern alle, die zur Gemeinde gehören.

An jene, die das Verbundensein mit Gott und miteinander vermissen: Lasst uns herausfinden, was unser ‚Herd‘ ist, italienisch fuoco, der Ort, der Wärme und Geborgenheit gibt, egal, ob wir ihn digital, analog, mental, konkret oder wie auch immer finden. Einen Ort, an dem wir gemeinsam sagen: Gott, wir vermissen dich. Das kann ein gemeinsames Gedenken, ein Moment des Innehaltens sein. Wer hat eine Idee? Und gibt sie weiter? An mich, an uns?

Ich vermisse euch, liebe Gemeinde. Und wünsche mir auch eure Ideen.

Chiara Lubich, die Strahlende, ist 2008 gestorben. Sie schreibt einmal: Ich möchte der Welt bezeugen, dass Jesus, der Verlassene, jede Leere ausfüllt, jede Finsternis erleuchtet, jede Einsamkeit begleitet, jeden Schmerz beseitigt und jede Schuld getilgt hat. Jeremia sagt es so: Ach, Herr, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! (…) wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Eberhard Hadem 16.1.2021