Predigt am 1. Weihnachtstag
25. Dezember 2020 Pfaffenhofen

Liebe Gemeinde

Große Festtage lösen große Vorbereitungen aus – erst recht in diesem Jahr, weil so viel zusätzlich mitbedacht werden muss. In diesem Jahr war alles noch einmal ganz anders. Wer ist Gastgeber für wen? Wer darf wen besuchen? Wer darf kommen? Wie feiern wir?

Eigentlich war weniger zu tun, weil wir einander weniger treffen dürfen. Ist das nur mir so gegangen, dass ich das Gefühl hatte, ich hatte mehr zu tun, weil alles Planen immer wieder über den Haufen geworfen werden musste? Oder ging es euch auch so? Die Rolle des Gastgebers, der Gastgeberin liegt uns allen schon, die übernehmen wir gerne, weil es bedeutet, dass die Menschen zu uns kommen, auf die wir uns freuen, die wir lange nicht gesehen haben. Sie sind aller Mühe wert. Auch wenn sie viele unserer Gedanken binden.

Kinder erleben das anders. Ich erinnere mich, dass ich als Kind fröhlich Tag für Tag die Türen des Adventskalenders geöffnet habe, als würde ich durch die Türen hindurch immer wieder neue, andere Räume betreten, die mich näher an den Heiligen Abend bringen. Als Kind war ich viel mehr Gast an Weihnachten und weniger Gastgeber. Aber auch die Kinder sind heuer in den Sog der Fragen geraten, wie wir als Familien Gastgeber sein können oder bei wem wir Gäste sind, was allerdings auch schon wieder viele Vorbereitungen braucht. Darf ich Oma und Opa umarmen? Überhaupt: Wie macht man das mit dem Abstand? Umarmen wir uns oder nicht? Dazu die Maskenfrage, die manche lässig beantworten, als würde das Virus an Weihnachten auch mal Pause machen. Ich bin nicht sicher, ob das Minimieren von Kontakten uns ein entspannteres Weihnachten beschert hat; das kann nur jede und jeder für sich selbst beantworten.

Alle Gastgeberfragen drehen sich letztlich nur um das Eine: Jede und jeder soll sich auf etwas freuen und spüren: ‚Auch ich gehöre dazu‘. Niemand soll ausgeschlossen sein, sich als willkommene Gäste fühlen.

Was im menschlichen Miteinander gilt, ist im geistlichen Miteinander nicht anders, denn da stellen sich dieselben Fragen: Ist das Jesuskind eigentlich der Gast, auf den wir uns freuen? So dass wir sagen: ‚Herzlich willkommen, Jesuskind, schönster Weihnachtsgast hier bei uns!‘ Wie es in dem Weihnachtslied (EG 543) von Paul Gerhardt heißt: Wir singen dir in deinem Heer aus aller Kraft Lob, Preis und Ehr, dass du, o lang gewünschter Gast, dich nunmehr eingestellet hast.

Oder ist das Jesuskind der eigentliche Gastgeber, zu dem ich kommen darf, der mich einlädt, zu dem ich mich als Gast auf den Weg mache? Wenn ich vor dem Kind in der Krippe stehe, wenn ich mir innerlich einen Platz in der Weihnachtskrippe gesucht habe, wo ich gerne stehen würde, dann wird mir manchmal – nicht oft, aber manchmal – klar, dass ich ja der Gast bin, ein Gast des Jesuskindes. Es widerfährt mir, dass ich zum Gast werde. Das trifft es doch auf den Punkt: Wenn einem etwas widerfährt, kommt einem etwas entgegen, womit man nicht gerechnet hat. Manchmal bin ich so auf mein Ziel fokussiert, dass ich nicht wahrnehme, was mir widerfahren will. Aber Dinge geschehen, wenn ich sie zulasse und das – so sagt der Dichter Erich Fried einmal – ‚nimmt mich Wunder‘. Dass Jesus mein Gastgeber wird, ‚nimmt mich Wunder‘. Wir sprechen nicht mehr so: ‚etwas nimmt mich Wunder‘ – aber es wäre schön, wenn wir uns vom Wunder nehmen lassen würden.

Und das ist das Wunder: Dass das Jesuskind allein durch sein Dasein, ganz ohne Worte, zu mir sagt: ‚Herzlich willkommen, schönstes Menschenkind!‘ Egal, ob ich alles perfekt vorbereitet habe oder eher in die Weihnachtstage hineingestolpert bin: Zu nichts anderem bin ich eingeladen, als einfach nur Gast zu sein. Ich, der ich voller Erwartungen, voller Ansprüche an mich selbst, an andere bin.

Doch das Kind stellt keine Ansprüche. Es hat keine Erwartungen. Hier muss ich nichts tun. Hier muss ich nichts darstellen. Dem Jesuskind muss ich auch nicht erklären, warum ich manchmal anderen gegenüber so ein sturer Ochse oder so eine krätzige Kuh bin. Ich bin willkommen, so wie ich bin. Kein Zwang ängstet mich, irgendetwas zu rechtfertigen, nicht vor Gott, nicht vor mir selbst oder anderen. Mir ist, als würde das Jesuskind allein durch sein Dasein, ganz ohne Worte, direkt zu meinem Herzen sprechen: Fürchte dich nicht! ‚An der Krippe stehen‘ kann zu einem inneren Raum werden, an dem Gott allein mich erfüllt.

‚An der Krippe stehen‘ lässt mich erkennen: Hier darf ich ganz Gast sein. Ich muss mich um nichts kümmern. Nichts denken oder planen, sondern nur: Da sein. Und mich freuen.

Es kann aber sein, dass der Gedanke, einfach da sein zu dürfen, neue und andere Ängste auslöst. Denn wir bringen ja nicht nur unsere Sonnenseiten mit zur Krippe, wie die heiligen drei Könige ihre Geschenke. Wir bringen ja uns selbst, und damit bringen wir eben auch mit, was Schatten auf unser Leben wirft: Erinnerungen, die wehtun. Fehler, für die ich mich schäme. Angst davor, wie es weitergehen wird. Davor, dass es nicht weitergehen wird. Angst davor, dass ich verkehrt bin und nicht hier hingehöre. Dass ich womöglich nirgends hingehöre. Es ist die Angst, dass ich als Gast des Jesuskindes womöglich all meinen Erinnerungen und bohrenden Fragen ausgesetzt bin!

So gesehen ist es verständlich, wenn jemand sagten würde: ‚Ach Jesuskind, lass mich doch lieber wieder dein Gastgeber sein, lass mich machen und planen, organisieren und vorbereiten! Das kann ich, für andere da sein. Versteh doch: Ich halt’s kaum aus, an deiner Krippen zu stehen! Du sagst, ich soll mich nicht fürchten. Das kann ich nicht.‘

Liebe Gemeinde, genau das mutet das Jesuskind uns aber zu: Fürchte dich nicht! Das klingt fast wie ein Gebot: ‚Du sollst dich nicht fürchten’! So etwas kann man doch nicht gebieten – sich nicht zu fürchten? Warum ein Gebot, fast ein Befehl? Weil das Einzige, was niemand von uns kann, ist: sich nicht fürchten – das kann ich mir zwar vornehmen, aber Sie können es nicht, und ich kann es auch nicht. In der Furcht sind wir nicht unser eigener Herr. Nur Gott kann es machen in deinem und meinem Herzen, dass du und ich uns nicht fürchten, dass wir uns entscheiden, seinem Gebot so zu vertrauen, wie Liebende der Verführung ihrer Herzen folgen; weil sie dem Versprechen des anderen glauben. Wer liebt, hört keinen Befehl.

Und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen – für immer? In der Weihnachtsgeschichte (Luk, 1,79) heißt es: Gott richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Die Hirten und die Heiligen Drei Könige beten das Kind in der Krippe an – dann machen sie sich wieder auf den Weg. Auch niemand von uns, der zur Krippe kommt, soll dort stehen bleiben. Jedes Jahr schickt uns unser Gastgeber, das Jesuskind, wieder auf die Reise. Der Weg des Friedens beginnt jedes Jahr immer wieder in der Heiligen Nacht, mit dem Morgen des Weihnachtstages. Jedes Jahr beginnen wir den Weg des Friedens neu mit Jesus, in Bethlehem geboren.

Der Theologe Jörg Zink hat das in wunderbare Worte gefasst: „Es mag mir widerfahren, was will, es führt mich einer durch die Jahre. Was um mich her geschieht, spricht zu mir und ruft mich auf, zu tun, was um der Menschen und um des Friedens willen getan werden muss. Was ich empfange an Kraft und Güte, ist ein Geschenk. Alle Wahrheit, die ich verstehe, alle Liebe hat mir einer zugedacht. Alles, was mir zufällt, fällt mir aus einer guten Hand zu. Was mir schwer aufliegt, ist mir auferlegt durch einen großen und wissenden Willen. So öffne ich mich dem, was kommt. Ich brauche nichts zu fürchten.“

Dieses Vertrauen wünsche ich Ihnen, liebe Gemeinde hier in Pfaffenhofen, für die kommenden Tage und das neue Jahr 2021.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Eberhard Hadem 25. Dezember 2020